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Fenster.Bilder Malerei hinter Glas in Fensterflügeln
Window.Paintings Paintings behind glass in window casements

„Kunst ist ein Fenster, durch das der Mensch seine höhere Fähigkeit erkennt.”
Giovanni Segantini

Mit dem Malen hinter Glas in Fenstern habe ich nach ersten zufälligen und spielerischen Versuchen begonnen, um mir selbst gegenüber das Hinausschieben des oftmals quälenden Beginns der Arbeit an Kompositionsaufträgen zu rechtfertigen. Denn ich konnte mir dadurch suggerieren, dass ich malend ohnehin künstlerisch tätig sei, und die leeren, großen und schrecklich weißen Partiturblätter aufgrund dieser dringlichen bildnerischen Tätigkeit eben noch Tage, manchmal Wochen auf ihre Beschreibung zu warten haben.
Ohne all zu viel zu wissen, ohne Termin- und Erwartungsdruck, ohne Auftrag und Öffentlichkeit, erschien mir das bildnerische Tun als Oase der unmittelbaren Kreativität, des ungefilterten Ausdrucks.
Am Beginn meiner Fenstermalerei vor ungefähr 20 Jahren hatte ich weder den Plan noch den Anspruch, einen langfristig und Bild für Bild sich erweiternden Zyklus zu gestalten. Die schrittweise entwickelte und inzwischen sehr spezielle Maltechnik, das Entdecken neuer Materialien und der Rausch dichter Schaffensperioden jedoch hielten mich über die Jahre gefangen.
Zusätzlich begann das malerische mit dem photographischen Werk, welches sich hauptsächlich aus konzeptuellen Serien, ebenfalls über viele Jahre konsequent und zyklisch erweitert, zunehmend zu korrespondieren. So beschäftigt sich zum Beispiel die mittlerweile mehrere hundert Photos umfassende Serie der Blicke aus allen Hotelzimmern, die ich auf meinen Konzertreisen bewohne, ebenfalls mit dem Thema „Fenster“.
Nach ungefähr 15 Jahren des quasi „heimlichen“ Malens wagte ich 2006 mit einer ersten Ausstellung, mein bildnerisches Tun öffentlich zu machen. Das Ende der Unschuld?
(Christian Muthspiel)

INTERVIEW MIT CARL AIGNER

Direktor NÖ Landesmuseum
Das Gespräch für ÖBVaktiv führte Maria Christine Holter,
Kunsthistorikerin und -vermittlerin

Mag. Carl Aigner eröffnete die Ausstellung „Fenster.Bilder”
von Christian Muthspiel im ÖBV-Atrium am 25.9.2007

ÖBVaktiv: Carl Aigner, Sie haben in der Laudatio Ihrer Bewunderung für den Jazzmusiker Christian Muthspiel Ausdruck verliehen. Was verbindet Sie mit dem vielseitigen Musiker und seit wann kennen Sie Christian Muthspiel als Schöpfer von bildnerischen Werken?

Carl Aigner: Ich bin seit langen Jahren ein – wenn auch verborgener, aber großer – Fan des musikalischen Werkes von Christian Muthspiel, habe aber erst im Herbst letzten Jahres erfahren, dass er auch bildnerisch arbeitet. Das war für mich einerseits eine Überraschung, andererseits auch nicht, weil es hier sehr viele Beispiele gibt, gerade in Österreich: Wir wissen, Arnold Schönberg hat gemalt, Gegenwartskünstler wie Gerhard Rühm und Christian Attersee arbeiten immer auch mit Musik – und, um noch einen anderen großen Künstler zu nennen, Paul Klee war Zeit seines Lebens Musiker. In der Geschichte des 20. Jahrhunderts und der Malerei spielt aber das Phänomen Musik noch eine ganz besondere Rolle…

ÖBVaktiv: Denken Sie hier an die fruchtbare künstlerische Beziehung von Kandinsky und Schönberg?

Carl Aigner: Nicht nur, sondern dass ein Teil der Entwicklung der abstrakten Kunst vor hundert Jahren – parallel zur Entwicklung der Zwölftonmusik – generell sehr intensiv mit der Auseinandersetzung mit Musik verknüpft war. In gewisser Weise ist Musik ja abstrakt und da ist es kein Zufall, dass es zu dieser Verbindung kommt. Daher es ist sehr spannend zu sehen, was Christian Muthspiel jetzt macht.

ÖBVaktiv: Die Verschränkung beider Disziplinen ist im Sprachgebrauch unmissverständlich festgeschrieben. Die bildenden Künstler bezeichnen ihre abstrakten Werke als Kompositionen, teilweise als Improvisationen – wie eben Kandinsky. Man spricht in der Musik von Klangfarbe und in der Malerei von Farbklang. Es sind schon rein sprachlich Analogien gegeben.

Carl Aigner: Schon, und in den 50er Jahren war es einfach Usus geworden, ein Bild „Komposition” zu nennen, weil es eben nicht mehr um Gegenständliches, sondern um Nicht-Sichtbares gegangen ist. Und das konnte dann nur über das Phänomen der Form, eben der Komposition eines Bildes, oder über das Thema Farbe artikuliert werden. Bei Muthspiel möchte man im ersten Moment sagen, dass die Musik und das bildnerische Werk gar nichts miteinander zu tun haben. Deshalb hat er „Fenster.Bilder” als Titel genommen. Es ist ein ganz konkreter Titel, der genau das meint was er sagt!

ÖBVaktiv: Der Ausstellungstitel „Fenster.Bilder” müsse in seiner Buchstäblichkeit gelesen werden, war Ihre Empfehlung an das Vernissagenpublikum: Fenster und Bild, der Fensterrahmen, der einen Blick in die Welt ermöglicht. Insofern kann man Muthspiels Hinterglasmalereien auch als Kommentar zur abendländischen Auffassung von Bild als Fenster zur Welt, bzw. deren Bruch in der Moderne sehen.

Carl Aigner: Durchaus, aber Muthspiels Arbeiten sind auch ein sehr schönes Beispiel dafür, dass Kunst nicht „vom Himmel fällt”. Kunst entwickelt sich immer aus ganz konkreten realen Erfahrungen von Alltag, vom Leben des Künstlers heraus, auch wenn das nicht als Biografie kurz geschlossen werden darf. Bei Christian Muthspiel ist es so: Er ist als Musiker sehr viel unterwegs, viel in Hotels, und im Hotel schaut man vielleicht ein wenig anders und öfter aus dem Fenster, als zu Hause, weil man da den Ausblick ja kennt. Und so hat er immer die Chance genützt – da hatte er Zeit – hinauszublicken aus dem Hotelfenster, um zu schauen: „Was ist denn das für eine Realität, was für eine Welt? Wie sieht die Stadt oder der Ort aus wo ich bin?”. Und so hat sich bei ihm das Motiv des Fensterblicks und des Fensterbildes langsam bildnerisch zu entwickeln begonnen

ÖBVaktiv: Christian Muthspiel hat erzählt, dass er bei den Fotografien, die er in den Hotels anfertigt, auch den Fensterrahmen und nicht nur den Ausblick aus dem Hotelfenster abbildet, den Rahmen als formales Element miteinbezieht. Bei den Fensterbildern können die verschiedenartigen Fensterrahmen Impulsgeber für die Farbwahl und formalen Entscheidungen sein, ausgelöst durch den Zustand des jeweiligen Fensterrahmens, ob es Absplitterungen gibt und andere Farbschichten dabei durchkommen, sowie die Anordnung und Anzahl der Fensterfelder. Das lässt mich jetzt doch wieder stark an den Musiker Christian Muthspiel denken, den großen Improvisationskünstler, der seine Kompositionen und Improvisationen von einem Thema her weiterentwickelt.

Carl Aigner: Auf alle Fälle lassen sich auch bei Christian Muthspiel eine Reihe von Analogien entfalten. Aber anders als die Musik, hat er sich das Bildnerische in den letzten Jahren autodidaktisch erworben. Das bedeutet, dass es viel spielerischer und unbelasteter ist als seine Musik, bei welcher er durch eine künstlerische Ausbildung einen Kanon verinnerlicht hat. Das einzig Konkrete für seine Malerei ist eben das Fenster, die Materialität des Fensterrahmens und dass er sich als Bildträger für das Glas entschieden hat. Das Fenster hat auch einen deutlich symbolischen Stellenwert, weil es das Innen und Außen verbindet – im übertragenen Sinne die äußere und innere Realität des Künstlers.

ÖBVaktiv: Christian Muthspiel gesteht auch ein, dass die Gestaltungen in den Fensterfeldern seine Emotionen und Notwendigkeiten widerspiegeln. Er bezeichnet sein bildnerisches Tun als „eine Oase der unmittelbaren Kreativität, des ungefilterten Ausdrucks” im Ausgleich zu den oft sehr belastenden Arbeitsphasen bei Kompositionsaufträgen. Lässt sich da ein Zusammenhang mit dem Phänomen des Automatismus in der surrealistischen Malerei und dem Informell herstellen?

Carl Aigner: Natürlich! Die Entdeckung Sigmund Freuds, dass der Mensch nicht nur ein rationales Wesen ist, sondern von einem Unbewussten viel mächtiger bestimmt wird, als von seinem rationalen Tun, das ist Vielen in der Kunst des 20. Jahrhunderts die entscheidende Grundlage und Erkenntnis geworden. Das Bild ist kein Repräsentant einer äußeren Wirklichkeit mehr, es wird ein Ort, wo es um eine innere Befindlichkeit oder Dimension und letztlich um Energie geht. Daraus entwickelte sich nach 1945 auch die informelle, die gestische Malerei und dort setzt Christian Muthspiel an: Er lässt sich treiben von dem, was aus ihm kommt, was sich daraus formt – das äußere Zutun ist dann eine gewisse Gestaltung innerhalb eines bestimmten Rahmens. Man muss unbedingt sehen, dass diese Fensterbilder ja wunderbar komplex sind! Sie sind eine Form der Hinterglasmalerei, das heißt das Bild wird seitenverkehrt gemacht.

ÖBVaktiv: Er schaltet eine Bewusstseinsebene aus, indem er selbst während des Malens nicht sieht, was er geschaffen hat und die beabsichtigten Effekte, die durch das Verrinnen der Lackfarben, die verschiedenen Materialbeigaben (wie z.B. Sand) und die unterschiedlichen Trocknungsstadien entstehen, sind letztlich nicht zur Gänze kontrollierbar.

Carl Aigner: Es kommt da etwas herein, was die Kunst des 20. Jahrhunderts als ganz neues Momentum geprägt hat, nämlich das Experimentelle. Es ist für Christian Muthspiel anfangs nicht absehbar, was am Ende als Resultat da sein wird. Dieses Ausprobieren, Ausloten, dieses Suchen, das Immer-wieder-ansetzen und das Bewusstsein, dass es keine absolute Abgeschlossenheit gibt, dass die Welt grundsätzlich ein Prozess ist, das manifestiert sich stark in seiner Arbeit.

ÖBVaktiv: In beiden seiner künstlerischen Sparten…

Carl Aigner: … sicher, und in seiner Malerei hat er einen ganz eigenen Weg gefunden, der zwar kunsthistorisch nicht neu ist, weil dies die Kunst der letzten Jahrzehnte sehr geprägt hat, aber wie er das für sich realisiert, wie er zu seinem bildnerischen Sehen kommt, das ist schon etwas, wo ich sage: „Ohne dass er Musiker wäre, würde er vielleicht den autodidaktischen Weg in dieser Qualität nicht geschafft haben!”.

ÖBVaktiv: Das kreative Potential des Christian Muthspiel erzeugt wohl in allen künstlerischen Richtungen ein Gespür für Qualität, aber auch ein Vermögen zur Selbstwahrnehmung. Wenn er bei der Eröffnung, vor dem Auftritt mit seinem Trio sagt: „Ich spiele heute mit geschlossenen Augen, damit ich meine Bilder nicht sehen muss, weil ich – anders als bei der Musik – nicht mehr eingreifen kann!”, dann ist das keine Koketterie, sondern offenbar die Scheu vor der Festschreibung des Moments.

Carl Aigner: Es ist, glaube ich, noch viel mehr und grundsätzlicher: Wenn ein Künstler über mehrere Jahre ein Werk entwickelt, etwas Neues, dann ist einmal der magische Moment der Präsentation gekommen, die Stunde der Wahrheit, und er fragt sich, wie die Menschen damit umgehen werden, die diese Arbeiten sehen. Werden sie sich abwenden, werden sie lange hinschauen? Im Gegensatz zu vielen anderen beruflichen Sparten, gibt der Künstler radikal sein Inneres preis und macht es sichtbar. Da kann man nicht mehr trennen zwischen Job und der Privatperson – es ist die ganze Person…in ihrer Verletzlichkeit…genau, weil man sich unglaublich als Mensch öffnet und aussetzt. Das gilt natürlich für jede Künstlerin und jeden Künstler.

ÖBVaktiv: Vielen Dank für das Gespräch.